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Motivationsschreiben für das Literaturinstitut Biel


…ich bewerbe mich ja für so ein Literaturding in Biel und Leibzig. Ich habe Dir, lieber Blogleser, mein Motivationsschreiben angehängt. Somit bist du bestens informiert, um was es eigentlich geht. Viel Spass.

    ich sass in der hintersten reihe einer lesung. ein freund von mir las über das schreiben. »und manche schreiben, um nicht zu vergessen, aus welchem loch sie gekrochen sind«, las er.
    erste klasse. ich und mein freund sassen in der gleichen schulbank. mit dem gleichen berufswunsch. fast alle aus unserer klasse hatte den gleichen berufswunsch. darunter auch ein mädchen. rosangiela. rosangiela war die tochter von unserem lehrer, theofil. theofil war derjenige, der uns orion gezeigt hatte. er sagte: «das ist orion.»
     ich sagte: «du bist ein mädchen. mädchen können nicht astronauten werden.» 
     rosangiela schlug mir eins auf die nase. sie war meine erste freundin.
    ein jeder in unserer klasse konnte es kaum erwarten, endlich den planeten zu verlassen. nach orion zu fliegen. dort wohnten die ausserirdischen.
     in der zweiten woche schnitt mir theofil fussballspiel mit seiner grossen, schwarzen schere eine seite aus meinem schönschreibeheft.
    «das sieht ja aus wie ein caputter lattahag, coffertori», sagte er und meinte meine seite mit den f.
    in der vierten klasse zogen wir weg. ich kannte niemanden dort und machte 39 fehler beim abschreiben.
    dann war ich neunzehn und machte mir sorgen um mädchen und meine maturaprüfung.
    dann gingen alle jura studieren und ich ging in die rs.
meine freundin machte mit mir schluss. alle anderen glaubten, ihr computer würde ins dunkelste mittelalter zurückgeschleudert werden und ich wollte in die fremdenlegion.
    zwei jahre später hatten alle windows millennium und ich studierte jura.
    zwischendurch wäre ich beinahe berühmt geworden.
    nach fünf semestern jura-studium wusste ich alles über alternativfilme, klassiker der frühen science-fiction-literatur und über den schwarzen block. 
    dann verliess ich die hsg.
    ich ging zurück in die schule, machte die ausbildung zum oberstufenlehrer und unterrichtete drei jahre lang.
    manchmal, wenn orion besonders hell schien, kriegte ich nach einer halben stunde nackenstarre und musste eine weile geradeaus schauen. in solchen momenten wusste ich, dass ich so schnell wie möglich den planeten verlassen musste.
    dann kam das ende der welt wieder. ich machte innert zehn monaten mit drei freundinnen schluss und packte meinen rucksack immer wieder von neuem. gleichzeitig stapelte ich meinen ganzen besitz in einem zimmer und plante, alles auf ebay zu versteigern. der erste artikel, eine dvd mit dem titel DIE OLSENBANDE AUF FREIEM FUSS, wurde nicht versteigert. ich hatte augenblicklich die nase voll von ebay und verschenkte alles.
    im sommer 2010 sass ich auf einer bananenschachtel mit dem, was übrig geblieben war. 
    ein paar notizbücher und ein kalligrafieset.
    ich war offiziell nicht mehr in der schweiz. krankenkasse und versicherungen waren gekündet. dann liess ich die schachtel und die halbe pensionskasse in der garage meiner eltern liegen und reiste mit trottinette und gitarre nach westen.
    einmal, während der nachtwache auf dem kleinen segelschiff hooker, auf deutsch nutte, sah ich orion hoch über mir, sein spiegelbild auf dem atlantik und das meer rund um das schiff phosphoriszierte grünlich.
    elf monate später stand ich wieder auf schweizer boden. genauer im flur der wohnung eines kumpels, der mir angeboten hatte, ein paar tage bei ihm anzukommen. ich blieb ein jahr. 
mein blick glitt vom flur zur küche und ich wunderte mich, warum mir seine orange gestrichene küche mit dem schwarzen balken mittendurch nicht schon vorher aufgefallen war. die nachbarin stand mit nassem haar und im bademantel hinter mir. sie tropfte eine lache in den flur. ihr freund lag in der badewanne. er hatte nur ein bein. 
    dann war die lesung vorbei.  
    «wo arbeitest du zur zeit?», fragten mich lehrerkollegen. 
    «ich arbeite an einem buch», sagte ich.
    «das klingt spannend. das würde ich auch gerne mal machen», sagten sie, «und – wo arbeitest du zur zeit?»
    zwei monate nach meiner heimkehr war ich wieder bereit, den planeten zu verlassen.
    auf dem ballermannflieger nach mallorca lernte ich jessie kennen. ich hatte eine attica in der altstadt von palma und sie einen freund in australien.
    sie kochte und ich schrieb ein buch. statt zu schreiben, dekantierte ich den rotwein und dieser liess uns zu buena vista social club tanzen und auf dem dach unter den sternen schlafen. 
    «this is the perfect place for having sex», sagte sie und ich sah orion am nachthimmel leuchten.
    ein paar wochen später war ich zurück in der schweiz und einer von sechs gewinnern eines literaturwettbewerbs. ich schrieb ein gedicht auf die rückseite der ausschreibung. der titel: THEME SONG FOR THE NEVER TO BE SEEN MOTION PICTURE: POOR FUCK SOLD HIS SOUL AND COMPLETELY FORGOT TO COMMIT SUICIDE OVER THE POOR SELLOUT. dann nahm ich die 800 chf preisgeld und kaufte mir eine schreibmaschine. eine schwarze, nach maschinenöl duftende hermes media.
    dann tippte ich die 427 seiten manuskript von mallorca nochmals ab. das rft-dokument hatte sich selbst erfüllt und mir   z     w     i     s     c     h     e     n      j     e     d     e     s      z     e     i     c     h     e     n      f     ü     n     f      l     e     e     r     s     c     h     l     ä     g     e      e     i     n     g     e     f     ü     g     t     . 
    das ganze sah sehr nach konrad bayer aus. 
    und das war das erste mal, wo mir wegen der schreiberei glaub ich ein teil meines verstandes flöten ging.
    ich hämmerte jeden tag ein gedicht in die schreibmaschine. das erste gedicht hiess DER TAG, AN DEM DAS SCHREIBEN ZU MIR KAM und ging so: «der tag, an dem das schreiben zu mir kam war der tag, an dem ich den ersten haemorrhoiden in meinem arschloch fand.»
    ich las zu der zeit viel bukowski. er schrieb irgendwo: «wenn ich je in meinem leben eine creative writing class unterrichten sollte, würde mein erster auftrag an die studenten lauten, sich ein paar haemorrhoiden wachsen zu lassen. oder auch nicht.»
ich mochte das. noch jemand, der über haemorrhoiden schrieb.
hier waren wir. ein toter säufer, der über sein leben in bunker hill, hollywood mit nutten und pferderennen schrieb.
und ein straight-edge-squatter, der auf der suche nach dem ende der welt war.
    dann nahm ich eine erhebliche anzahl bäder und versuchte, ein echter schriftsteller zu sein.
    die vierte version der reise wurde zum probelesen rausgegeben.
    ein kumpel, dessen literarischer horizont sich nach seinen worten auf die lektüre des telefonbuchs beschränkt, meinte: «das beste buch, das ich je gelesen habe.»
    ein kumpel, der schriftsteller war, nahm seine grosse, schware schere zur hand.
    bukowski schrieb in einem seiner gedichte: «wenn du es zuerst deiner frau oder deiner freundin oder deinen eltern oder deinem freund oder überhaupt irgendjemandem vorlesen musst, dann bist du nicht bereit.»
    im herbst begrub ich die reise. verbrannte gut 1’500 seiten an manuskript. das feuer verschlang die sieben versionen mit heisshunger. ich legte noch meine reisegitarre mit dem gebrochenen hals oben drauf. 
    das feuer knallte. 
    ich holte mir eine verbrennung.
    dann gründete ich eine firma. muskat media. verlag für buch und musik.
    «damit machen sie heutzutage aber kein geld mehr», sagte mir die frau von der sozialversicherungsanstalt.
    «ich weiss», sagte ich und liess mir den rest meiner pensionskasse auszahlen.
    das ende der welt rückte näher. am 21.12.12 war ich dort, wo ich zu der zeit sein wollte, wenn das geschah, was geschehen würde. es geschah das, was geschehen war. 
    nun kannte ich das ende der reise.
    ich verirrte mich für unbestimmte zeit in einem kloster in nepal.
    dort musste man schweigen und so lange sitzen, bis die knie und der hintern gewaltig schmerzten.
    lesen und schreiben waren verboten. einer, der auch sass, schrieb auf toilettenpapier. ich hatte kein schreibzeug und brauchte all mein toilettenpapier wegen des currys.
    dann kam ich am flughafen zürich an und musste dringend auf die toilette. 
    erst duftete es nach limetten, dann nach dem ende der welt.
    dann fragte ich den saldo auf meinem bankkonto ab. ich spare mir die details.
    dann sass ich hin und schrieb das hier.
    das muss genügen.
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pascal beer. im februar 2013.

au ja. Und das malheur mit den Haaren. 

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