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Zeitungsbericht vom 16.10.2010 im Tagblatt (German only!)

Erst noch war Pascal Beer Lehrer für Sprachen am GBS in St.Gallen und hatte ein «normales» Leben mit Wohnung, Auto, Freundin und Zukunftsplänen. Vor gut 11 Wochen liess er alles hinter sich. Im Tagblatt erklärt der Oberthurgauer wieso.

Sie haben fast Ihr ganzes Hab und Gut verschenkt. Was ist der Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt, Herr Beer?
Pascal Beer: Ich bin an dem Punkt angekommen, wo ich das Gefühl hatte: Das, was ich besitze, beginnt mich zu besitzen. Das hat in mir Beklemmung ausgelöst. Ich habe dann so vernünftig wie möglich begonnen, mal das wegzugeben, was ich für sechs Monate nicht mehr gebraucht habe. Mal ehrlich: Das ist bei jedem Menschen die Hälfte seines Haushalts. Der Rest war dann ein schrittweises Vortasten, Überlegen, wohin damit, sich entscheiden, sich trennen, nicht mehr darüber nachdenken. Zum Teil war dieser Prozess schmerzhaft. In unserer Gesellschaft sind wir uns gewohnt, Dinge hinzuzufügen, und nicht Dinge wegzunehmen. Ich konnte damit aber anderen Leuten eine Freude machen und das fühlte sich für mich gut an und ich mich Schritt für Schritt leichter.

Seit einigen Wochen reisen Sie ohne Geld um die Welt. Wieso tun Sie sich das an?
Beer: Einerseits besass ich schlicht nicht das Kapital für eine Reise in dem Ausmass, wie ich es mir vorstellte. Zweitens ist es der Versuch, dieses vermeintliche, uns so vertraute Sicherheitsdenken für mich persönlich in eine neue Perspektive zu rücken. Die meisten, denen ich meine Idee verkündet habe, haben mir aus ihrer Perspektive geantwortet: «Das ist nicht möglich! Wir leben in einer kapitalistischen Welt!» Ich konnte nicht akzeptieren, dass man sich in der Welt nur mit Geld bewegen kann. Ich war mir sicher, dass Geld zwar unser bevorzugtes Tauschmittel sei, die Welt aber über etwas anderes in Bewegung gehalten würde. Mein Plan war also, mir die Pensionskasse auszahlen zu lassen, Krankenkasse und alle Versicherungen zu kündigen, mich aus der Schweiz abzumelden und dann wirklich ohne Sicherheiten und Geld zu reisen. Ich habe das eine ganze Woche lang gemacht, mich dann aber nach intensiven Diskussionen mit Zuhause entschieden, meine extreme Position in einen goldenen Mittelweg umzuwandeln. Ich bin jetzt wieder in der Schweiz angemeldet und zahle das Minimum an Krankenkassenprämie, reise aber immer noch ohne Geld.

Wie halten Sie sich denn auf Ihrer Reise über Wasser?
Beer: Ich singe und spiele Gitarre auf der Strasse. Die Gitarre musste für mich auf der Reise dabei sein, also bot es sich an, so ein bisschen Geld zu verdienen. Hier haben wir das Geld schon wieder! (lacht) Ich habe vor der Abreise bei einer Gesangslehrerin ein paar Gesangsstunden genommen, mit meiner Gitarre ein paar Songs vorbereitet und eigentlich das erste Mal in der Öffentlichkeit gesungen. Das hat ja vielleicht Überwindung gekostet, in Kreuzlingen vor ein Einkaufszentrum zu stehen und das erste Lied anzustimmen! Es gibt eine Menge Insiderinformation zum lukrativen Musizieren auf der Strasse. Bis man diese Tricks gelernt hat, muss man sich mit Einnahmen von 50 Cents an aufwärts begnügen.

Und das reicht zum Überleben?
Beer: Nun, daneben gibt es auch ganz viele Begegnungen, wo einem Geld in die Hand gedrückt wird, einem in einem Supermarkt etwas gratis gegeben wird, man zum Essen eingeladen wird oder irgendwo eine Bleibe kriegt. Die Welt ist voll von hilfsbereiten, netten Leuten, die Gutes tun, ohne dafür ein Dankeschön zu erwarten. Ich lebe nach der Devise: Gib alles, was du hast! Wenn ich also noch ein Brot übrig habe und gemeinsam mit jemandem esse, wird alles Essen auf den Tisch gelegt. Um den nächsten Tag kümmert sich der nächste Tag. Das klingt locker vom Hocker, fordert aber eine Menge Vertrauen in die Sache. Ich war mir so eine Art von Handeln, wo ich mich nicht um das kümmere, was sein wird, schlicht nicht gewohnt. Aber diese Form von Reise ist eine einzigartige Gelegenheit, den Fokus aus dem Morgen und dem Gestern ins Heute, ins Jetzt zu lenken. Alles, was ausserhalb des Jetzt ist, ist mit einer Menge Angst, Unsicherheit und Stress verbunden.

Wohin soll Sie die Reise führen?
Beer: Die äussere Reise zurück nach Hause, hoffe ich mal! Ich versuche sehr unschweizerisch, keinen Plan zu haben. Das heisst, ich habe eine Idee, wohin ich gehen will und jemand kommt und bietet mir etwas anderes an, dann gehe ich eigentlich immer auf das ein, was mir angeboten wird. So wird jeder Tag zu einem Abenteuer. Ich entscheide über die Reise und die Reise entscheidet über mich. Die einzige Vorgabe, die ich mir gebe, ist, generell in Richtung Westen zu gehen. Wobei ich auch da flexibel bin und de facto kreuz und quer im Zeugs umherziehe.
  Die innere Reise, wie schon bei Jules Verne, führt mich vielleicht an den Punkt, wo ich mich nicht mehr vor diesem grossen Unbekannten fürchte. Sei es die Angst, dass das Geld nicht reicht, Angst vor dem Fremden, Angst vor dem, was kommt. Ich habe gelesen, dass einem das Reisen zu einem selbst führt. Was auch immer das heissen mag – es klingt gut!

Sie bereuen Ihren Entscheid also nicht?
Beer: Ich habe, bevor ich mich auf diese Reise begeben habe, eine grosse Rastlosigkeit gespürt, die sich in allen Lebensbereichen breit gemacht hat. Ich habe auf jeden Fall eine geeignete Medizin dafür gefunden. Es gibt immer wieder Momente, wo ich mich frage: «Was zum Henker machst du hier eigentlich…? Wem willst du genau was beweisen…?» Diese Momente sind selten, aber wichtig. Ich versuche mich bezüglich dieses Abenteuers immer wieder zu hinterfragen. Am Anfang habe ich mir ständig vor Augen geführt, was ich alles für diese Reise «hergegeben» habe. Das hat mich nicht gerade in Frohlocken versetzt, also habe ich aufgehört, darüber nachzudenken.

Wen oder was vermissen Sie aus der Schweiz?
Beer: Nach langem Widerstreben habe ich mich dafür entschieden, einen Blog zu dieser Geschichte zu verfassen und entsprechend auch ein Natel mitzunehmen. Ebenfalls habe ich jetzt einen Facebook-Account. Ich habe sehr viel Kontakt mit der Schweiz über virtuelle Medien. Insofern bin ich mit vielen Leuten jetzt in einem regelmässigeren Austausch als vorher. Ich nehme mir die Zeit, Briefe zu schreiben und versuche meine Kontakte in der Schweiz auf diese Weise zu pflegen. Ich lerne auf dem Weg auch sehr viele Leute kennen. Die meisten sind nach einem Tag wieder wieder weg, andere haben einen Platz in meinem Herzen und reisen von da an mit mir mit. Was ich echt vermisse, ist das Wildwasser-Kajaken, das ich während zwei Jahren intensiv betrieben habe.

Haben Sie eine Ahnung, wann Sie in die Schweiz zurückkehren?
Beer: Ursprünglich wollte ich mich nicht festlegen, wie lange die Reise dauern und wann ich wieder zurückkommen würde. Das war aber verständlicherweise weder für Familie noch Freunde wirklich befriedigend, also habe ich gesagt: «Ich rechne mit einem Zeitraum von vier bis sieben Jahren!»

Box:

Gummiboot, Filmheld, Pilgerweg 
Ende Juli hat sich Pascal Beer mit dem Allernötigsten und seiner Gitarre vom Elternhaus in Zihlschlacht auf «The Long Way West» (die lange Reise Richtung Westen) begeben. Vor dem Manor in Schaffhausen spielte er Gitarre, bis er sich ein Gummiboot erwerben konnte, wasserte nach dem Kauf unterhalb des Rheinfalls ein und ruderte in zwei Etappen bis Koblenz. «Dort küsste das Boot beim Aussteigen leider einen Nagel», berichtet Beer. Glücklicherweise habe er von ein paar Jungs Geld für den Zug gekriegt. So brachte er das Boot zum Manor in Baden zurück und reinvestierte dieses Geld in ein weiteres Bahnticket. In Frankreich war er dann wieder auf dem Wasser unterwegs: «Mit Jean-Luc und Monique tuckerte ich einen Tag lang in einem Kanalboot den Canal du Midi runter.»In Montpellier geriet Beer dann in die Produktion eines Filmes über Strassenmusiker. «Ich wurde gefragt, ob ich für den Film ein Lied spielen und ein Interview geben würde. Ich hatte grad nichts besseres zu tun…», lacht der 32-Jährige. In der Folge suchten ihn die Fernsehleute erneut auf und fragten ihn aus. «Irgendwie schienen sich meine Geschichte und meine getroffenen Entscheidungen von denen der anderen Strassenmusiker stark zu unterscheiden und einen wichtigen Eckpunkt im Film zu bilden.»Weiter ging die Reise nach Spanien und per Autostopp in Richtung Santiago de Compostela, wo Pascal Beer einen Freund in seinen Ferien besuchen wollte. «Je näher man Santiago kommt, desto unmöglicher ist es, sich als Weltreisender von einem Pilger zu unterscheiden.» Hinterher sei ihm gesagt worden, dass autostoppende Pilger in Spanien grundsätzlich nicht mitgenommen würden. «Ich habe mit Jesus, Jacinto und Joxe trotzdem ein paar Ausnahmen zur Regel getroffen.» In Sevilla bekam Beer von einer Tänzerin Mittagessen und Dusche angeboten – er blieb schliesslich eine Woche. Zuletzt wurde er in Cadiz von einem Ozeanologen für eine Woche «adoptiert», wie er sagt, und anschliessend auf der Strasse von einem deutschen Erasmus-Studenten angesprochen. «Das hat dann zwei Wochen Logis und vertraute vier Wände bedeutet, was eine willkommene Abwechslung zu acht Wochen  war.»

Unter pascalbeer.blogspot.com berichtet Pascal Beer täglich von seiner Reise. In loser Folge wird er auch im Tagblatt seine weiteren Erlebnisse schildern.

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